
Ausstellung:
ab 26.September bis Mitte November 2020
Exhibition:
Johanna Breede, PHOTOKUNST
Fasanenstraße. 69, 10719 Berlin
www.johanna-breede.de

Materialität & Imagination
Kurt Wendlandt
.
Die Entdeckung der Fotografie durch den Franzosen Joseph Nicéphone Niépse im Jahr 1826 markiert den Beginn von zweihundert Jahren mechanischer, chemischer und künstlerischer Experimente und Erfindungen. Die Fotografie revolutio- nierte die Methode zur Aufnahme unseres Bildes von der Welt um uns herum. Die Ethy- mologie der Weltfotografie bringt uns zum griechischen Wort (φως) / Licht und zum Verb (γράφω) / schreiben oder zeichnen. Das bedeutet, dass Objekte durch Licht- einwirkung in ein chemisch empfindliches Material aufgenommen werden.
Seit ihrer frühesten Geschichte gab und gibt es eine lebhafte Diskussion darüber, ob Fotografie eine Kunst oder ein mecha- nischer Prozess ist. Im späten neunzehnten Jahrhundert entwickelten sich zwei Haupt- diskussionsthemen: der unmittelbare Rea- lismus und der Begriff der Reproduktivität. Einige Künstler verwendeten die Fotografie als Leitfaden für ihre Arbeit. Die meisten von ihnen glaubten, dass die Entwicklung der Fotografie das Ende der Malerei be- deutet. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurde die Fotografie als Kunst akzeptiert.
Aber was passiert, wenn fotografische Arbeiten ohne Verwendung einer Kamera produziert werden? Künstler aus den mo- dernistischen Bewegungen von Dadais- mus, Futurismus, Konstruktivismus und Sur- realismus haben in ihren Forschungen und Experimenten abstrakte Formen in ver- schiedenen Kontexten geschaffen.
Man Ray veröffentlichte 1922 die Champs Délicieux in Paris. Er nannte seine Technik Rayographs. Der Pionier der Be- wegung in Deutschland, Thomas Wedg- wood, verwendete den Begriff Fotogramm oder fotogene Zeichnungen. Der Avant- garde-Künstler Láslo Moholy-Nagy, seit dem Jahr 1923 im Bauhaus, bezeichnete seine visuellen Untersuchungen mit Objek- ten auf empfindlichem Papier als fotoplas- tisch. In seiner „Vision in Motion“ schreibt er: „Das Fotogramm nutzt die einzigartige Eigenschaft des fotografischen Prozesses – die Fähigkeit, einen großen Bereich von Tonvariationen mit feiner Wiedergabe- treue aufzunehmen. (…) Das Fotogramm kann als Schlüssel zur Fotografie bezeich- net werden, weil jedes gute Foto die glei- che feine Abstufung zwischen den weißen und schwarzen Extremen aufweisen muss, wie das Fotogramm“ (S.188).
Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde das Fotogramm sowohl von subjektiven, als auch von experimentellen Fotografen ver- wendet. Auf den Spuren der großen mo- dernen Künstler des 20. Jahrhunderts ex- perimentierte Kurt Wendlandt, Maler, Illustrator, Autor, Fotograf, seit den 1950er Jahren mit verschiedenen Techniken des Grafikdesigns. Er übernahm den Begriff des Fotogramms und erfand neue Techniken und andere Innovationen. Das Fotogramm wurde von ihm in Lichtgrafik umbenannt. Er beginnt mit den herkömmlichen abs- trakten Schwarz-Weiß-Fotogrammen. Licht und Schatten, Schwarz, Weiß und Grau ha- ben ihn immer interessiert. Transparenz und Reflexion waren seine Hauptanliegen.
Vor seinem philosophischen Hintergrund entwickelt W. verschiedene Zyklen (Ma- terialerkundungen, Glassplitter etc.), in de- nen er zunächst mit technischen Verfahren experimentiert. Die große Anzahl abstrak- ter Schwarz-Weiß-Werke, die er produziert, sind nur die Anfänge seiner Experimente. Fasziniert von durchscheinenden Materia- lien verwendet er fast alles: Zucker, Kleb- stoffe, Farbe, Kartoffelschalen. Die Kamera wird beiseitegelegt.
Er arbeitet mit kleineren oder größeren Glasplatten, wo er seine ausgewählten Materialien ablegt, unter den Vergrößerer legt und sie auf Fotopapier, Film oder Fo- toleinen mit Hilfe des Lichtes projiziert. Ab- hängig vom Transparenzgrad verwende- ten Materialien, der Intensität des Lichts, der Dauer der Belichtung, sowie dem Aus- maß der Vergrößerung entstehen Bilder mit unterschiedlichen Strukturen, Größen und eine Vielzahl von Schattierungen zwischen Hell bis Grau und Schwarz.
Seine Arbeit durchläuft zahlreiche Pro- zesse. Die Strukturen, Linien und Ebenen auf seinem Film werden doppelt belichtet oder weiterverarbeitet. Durch die Kom- bination von Positiven und Negativen, mit Collagen, Solarisationen oder der Verwen- dung von Schablonen und Farben entste- hen viele Variationen. Die Möglichkeiten seiner individualistischen Experimente und das Mischen von Techniken und Materia- lien waren unbegrenzt.
Seine übliche Antwort an die Journalis- ten oder Kuratoren, die versuchten seine Arbeit zu interpretieren, war:
„Ich denke einen Schritt höher und arbeite dann intuitiv […] Ich habe viele Ideen.“
Seine vielfältigen, immer wieder neu kombinierten Werke, befinden sich in ver- schiedenen Museen und Privatsammlun- gen.
Dr. Eleftherios Ikonomou
